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"Jesus wäre über Lady Gaga amüsiert!"

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Jugendseelsorger Jansen: "Jesus wäre über Lady Gaga amüsiert!"

18.05.2011
Lady Gaga sorgt mit ihrem neuem Video "Judas" für Aufsehen, nicht nur in katholischen Kreisen. Wie weit dürfen Musiker gehen – und wie hält's die Popkultur mit der Religion? relevant-Autor Manuel Simbürger bat den Jugendseelsorger des Vikariats Wien-Stadt zum ausführlichen Gespräch.

Jesus und Judas als Anführer einer Bikerbande, Maria Magdalena als Biker-Braut mittendrin – inklusive Dreiecksverhältnis, Fußwaschung und die finale Steinigung: Lady Gaga hat in ihrem neuen Video "Judas" die Bibel für sich (wieder) entdeckt und will "ein soziales und kulturelles Statement" abliefern. Ein Schelm, wer da einfach nur an stinknormale Provokation denkt.

In katholischen Kreisen hat das Musikvideo trotzdem für einiges Aufsehen gesorgt. relevant–Journalist Manuel Simbürger wollte es genauer wissen und fragte bei Gregor Jansen, Jugendseelsorger des Vikariats Wien-Stadt, nach. Ein religiöses Gespräch über Gaga, Mel Gibson und die Jugend von heute. Ach ja, die FPÖ durfte da natürlich auch nicht fehlen.

relevant: Lady Gaga singt in ihrem neuen Hit "Judas" die Textzeile: "I'm in love with Judas". Wäre es Ihnen lieber gewesen, sie hätte "I'm in love with Jesus" gesungen?

Gregor Jansen: (lacht) Auch Jesus hat Judas geliebt. Aber: In Gagas Song nimmt Judas ja vor allem bloß die Rolle des altbekannten Bad Boys ein, der am Ende die Frau bekommt. Sonderlich originell ist das nicht.


"Unkreative Provokation!"

Ihre Meinung zum dazugehörigen Musikvideo?

Ehrlich gesagt ist mir nicht ganz klar, was die gute Frau damit erreichen möchte. Das Video ist meiner Ansicht nach vor allem eines: Sakrokitsch. Ob Jesus als Biker mit vergoldeter Dornenkrone geschmackssicher ist, bleibt dahingestellt.

Mich amüsiert das Video eher, als dass es mich aufregt. Ich kenne zwar Lady Gagas religiösen Background nicht, aber das Video, das ja immerhin Szenen der Fußwaschung, der Steinigung etc. enthält, zeigt sehr wohl, dass bei ihr zumindest religiöse Kenntnisse vorhanden sind.

Gagas Video also als Bibelstunde?

Ich verstehe das Video eher als Zitat und Hommage. Religiöse Motive hat es in der Popgeschichte immer schon gegeben, man denke nur an Prince oder Madonna, auf deren Spuren Gaga eindeutig wandelt. Das hat man alles schon mal gesehen, provokant ist hier meiner Meinung nach nichts mehr. Ich bin sogar enttäuscht, dass die Provokation nicht kreativer ausgefallen ist. Trotzdem wäre es sicher interessant, den religiösen Kontext von "Judas" in einer Jugendrunde zu besprechen. Im Gottesdienst kann ich mir das allerdings weniger vorstellen.

Sehen Sie in Popmusik-Videos, die religiöse Motive aufgreifen, gar die Chance, Religion und Kirche bei Jugendlichen wieder interessanter zu machen?

Das wäre wohl übertrieben. Als eine moderne Form von Mission sehe ich solche Videos bei weitem nicht. Sie mögen eventuell an- und aufregen, biblische Lehre lässt sich damit aber nicht verkünden. In katholischen Kreisen hat Gagas Video vor allem aufgeregt ... Mir stellt sich die Frage, ob diese angebliche Aufregung tatsächlich der Wahrheit entspricht oder nur eine Marketingstrategie seitens der Plattenfirma ist. Wenn man glaubt, durch Herauf-Beschwören eines solchen Skandals die Verkaufszahlen steigen zu lassen, ist dies aber auch ein indirektes Kompliment an die Kirche – man traut ihr immer noch einen großen Stellenwert in der Jugendkultur zu.


"Gibsons Film ist antisemitische Blasphemie!"

Man hat aber das Gefühl, die Kirche wehrt sich gegen popkulturelle Neuinterpretationen der Bibel ...

It's part of the game. Man versucht die Kirche ja bewusst zu provozieren, verpasst ihr die Rolle des Spielverderbers. Wenn seitens der Kirche negative Reaktionen kommen, bin ich enttäuscht. Mittlerweile sollten wir wissen, wie das Spiel gespielt wird.

Trotzdem: Soll die Freiheit der Kunst Grenzen haben?

Kunst arbeitet mit Tabubrüchen. Das ist okay, solange es der künstlerischen Auseinandersetzung dient. Kritisch wird es für mich dann, wenn der ironische und respektvolle Zugang fehlt und man gezielt versucht, aggressiv Ideologie zu verbreiten. Mit Death Metal und satanischer Musik habe ich deshalb meine Probleme – genauso wie mit Mel Gibsons Film "Die Passion Christi". Hier handelt es sich nur um reine Blasphemie mit antisemitischen Tendenzen. Das ist nicht mehr Kunst, sondern Verhetzung und Propaganda. Gottseidank kommt dies in der Popkultur nicht oft vor, man will schließlich eine große Masse erreichen. Popmusik ist meist harmlos.

Passen Kirche und Popmusik überhaupt zusammen?

Natürlich. Vor allem in der Jugendkirche wird mit aktuellen Popsongs gearbeitet und in die Jugendmesse inkludiert. Interessant ist, dass sich sehr viele Texte von Popsongs beinahe 1:1 für eine Messe übernehmen lassen. Die deutsche Band Ich & Ich singt zum Beispiel: "Du bist das Pflaster für meine Seele. Es tobt der Hass da vor meinem Fenster". Den Song "Das Beste" von Silbermond haben wir bereits des Öfteren als eine Form des Gebets in der Jugendmesse eingesetzt.


"Der Gottesdienst ist ein Event"

Kirchenlieder und Mainstream-Songs sind also kein Widerspruch?

Auf keinen Fall! Geschichtlich gesehen ist es nicht Neues, dass Volkslieder für Gottesdienste verwertet werden. Auch Mozart hat das gemacht. Ich denke, wir können und sollten die Aufhebung der Grenze "Kirche – Popkultur" wieder erreichen.

Kirchliche Messen werden von Jugendlichen aber als langweilig empfunden. Wie könnte man die Messe zum Event machen – und will die Kirche das überhaupt?

Hier möchte ich meinen Kollegen Kardinal Schönborn zitieren: "Die kirchliche Messe war und ist seit jeher ein Event." Jeder Gottesdient folgt einer Inszenierung – die Frage ist nur, wie qualitätsvoll diese ist. Eine Messe muss als Feier erkennbar sein, denn genau das ist sie auch. Es geht nicht ums Verkaufen, sondern darum, die Botschaft Jesu zeitgemäß umzusetzen.

Ist das verschlossene Image, das der Kirche anhaftet, dann überhaupt gerechtfertigt?

Zum Teil sicherlich. Aber gerade am Beispiel Wien sieht man, wie modern Kirche sein kann. Mir ist es wichtig, aus Schubladen auszubrechen.


"Jugendliche beeinflussen die Popkultur"

Themenwechsel: In wieweit hat Popmusik Einfluss auf die Entwicklung und die Lebensweise von Jugendlichen?

Ich denke, dass es umgekehrt ist: Jugendliche beeinflussen die Popkultur. Dass Popkultur einen neuen inhaltlichen Trend setzt, nehme ich nicht wahr. Für religiös sozialisierte Jugendliche bieten Videos wie Gagas "Judas" Wiedererkennungswert, alle anderen werden die religiöse Bildsprache gar nicht verstehen.

Zudem haben Jugendliche ein sehr feines Sensorium, wenn es darum geht, sie in eine bestimmte Richtung zu missionieren. Das schafft weder ein Musiker, noch die Kirche. Insofern unterscheiden sich diese beiden Welten also nicht sehr stark voneinander. Der Erfolg der Popkultur mag zwar größer sein, unserer ist aber längerfristiger. Von Lady Gaga spricht in 2.000 Jahren keiner mehr.

Aber ist Popmusik nicht die neue Religion für Jugendliche? Erreicht ein Promikaliber wie Lady Gaga, die immerhin 10 Millionen Twitter-Anhänger hat, nicht eine größere Masse, als es beispielsweise der Papst kann?

Man muss beachten: Religion ist mehr als bloß Kult. Und wenn man schon mit Zahlen spielt: Ich bezweifle, dass Lady Gaga mit einem einzigen Konzert zwei Millionen Jugendliche erreicht – der Papst im Rahmen des Weltjugendtages in Madrid aber sehr wohl!


"FPÖ ist gesellschaftliche Bedrohung!"

Was bereitet ihnen in der "Jugendkultur" zurzeit am meisten Sorgen?

Bei der heutigen Jugend vermisse ich die Frage nach dem Engagement, dem Einbringen der eigenen Meinung. Sie haben das Gefühl, nichts bewirken zu können und stellen sich die Frage: Lohnt sich ein gesellschaftliches/politisches/kirchliches Engagement überhaupt noch? Hier ist eine große Frustration zu spüren. Und das leider nicht zu Unrecht.

Das starke Wähler-Plus der FPÖ unter Jugendlichen – auch ein Grund für schlaflose Nächte?

Dies bereitet mir tatsächlich Kopfzerbrechen. Die FPÖ liefert zwar keine Antworten, dafür aber gesellschaftliche Sündenböcke. Sie verstärkt die allgemeine Tendenz der Unzufriedenheit mit "denen da oben". Ich sehe die FPÖ als keine Partei, sondern als eine Bedrohung des gesellschaftlichen Grundkonsenses.

Schließen wir unser Interview wieder mit Lady Gaga ab: Würde Jesus heute noch leben – wie würde er auf das Musikvideo "Judas" reagieren?

Er würde lächeln und wäre amüsiert. Er würde sich aber über kein Musikvideo aufregen – dafür jedoch über viele andere Dinge in unserer Gesellschaft.

Interview: Manuel Simbürger

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